Wie und in welchem Umfang Eltern ihre Kinder sexuell aufklären sollten ist eine Frage, die in meinen Workshops öfters mal auftaucht. Gestern Abend erst habe ich zum Beispiel mit meinem 8-jährigen Sohn über den ersten Samenerguss gesprochen. Wir kamen darauf, da wir über die körperlichen Veränderungen seiner 12-jährigen Schwester und meine aktuelle Menstruation sprachen. Und über anstehende Veränderungen bei seinem Körper.
Als Sex-Coachin, Sex-Liebhaberin und Mutter beschäftige ich mich viel damit, wie Menschen allgemein mit dem Thema Sex umgehen. Aber eben auch speziell in Bezug auf Kinder. Und sehe in meinem Berufsalltag wieder und wieder, welchen Einfluss die in der Kindheit erworbenen Informationen und Glaubenssätze rund um Sex haben. Sie bestimmen maßgeblich die sexuelle Zufriedenheit und Blüte der späteren Erwachsenen. Ich frage das oft in meinen Kursen und Erstgesprächen ab: Was hast du als Kind in deinem Elternhaus zu Sex gelernt?
“Meine Mutter hat mir als junges Mädchen immer gesagt, dass Sexualität etwas total Schönes ist, und sie sich schon für mich freut, wenn ich alt genug bin, selber Sex zu haben.”
In all den Jahren, die ich das jetzt mache, habe ich vor ein paar Monaten zum ersten Mal von einer Teilnehmerin die aus meiner Sicht PHÄNOMENALE Antwort gehört: “Meine Mutter hat mir als junges Mädchen immer gesagt, dass Sex etwas total Schönes ist, und sie sich schon für mich freut, wenn ich alt genug bin, selbst welchen zu haben.” Für sie war und ist Sexualität von Anfang an positiv belegt gewesen. Das ist leider die Ausnahme. Auch bei meinen jüngsten Klient*innen (20).
Meine Empfehlung an alle Eltern ist: Redet VON KLEIN an mit Euren Kindern über alles, was Sex betrifft. Zum Beispiel:
- “Gute” Worte und Kommunikation,
- sexuelle Energie (Freude, Erregung),
- Masturbation & Selbstliebe
- Intimität (vs. Sex?)
- das Aussprechen von Grenzen und Wünschen,
- Konsens,
- sexuelle Gesundheit und Hygiene(-wahn).
Liest du das und merkst, wie du innerlich zusammenzuckst? Dann empfehle ich dir zu einer*m guten Sexualtherapeut*in zu gehen, und herauszufinden was dich davon zurück hält, offen über Sex zu sprechen. Denn: Wenn du dich unwohl fühlst, mit deinen Kindern entspannt über Sexualität und das drumherum zu reden, stehen die Chancen schlecht, dass es später deinen Kindern leicht fällt, darüber frei zu kommunizieren. Dabei ist erfüllte Sexualität als Thema ebenso wichtig wie gesunde Ernährung oder das Regelwerk des Strassenverkehrs. Und klar kann man Kinder damit genauso hart nerven, wie mit regelmäßigen Smoothie-Angeboten und dem Hinweis auf den Fahrradhelm. Und das ist auch völlig okay so! Es ist in Ordnung, dass dir das Wohl deines Kindes am Herzen liegt. Und es wird der Tag kommen – mit mehr Abstand und Lebenserfahrung – wo dein Kind dir deine Bemühungen danken wird. Oder eben auch deine mangelnden Bemühungen vorwerfen wird. Was ebenfalls gut und normal ist.
Denn letzten Endes ist es so: Wenn du als Elternteil davor zurückscheust, aktiv deine Kinder sexuell aufzuklären, dann werden es andere für dich tun!
- Die Schule mit Themenschwerpunkten wie (häufig mangelhaftem Wissen zu) Anatomie und dem Schutz vor beängstigenden Krankheiten, ungewollten Schwangerschaften und sexuellen Übergriffen – alles Aspekte und Botschaften, die zunächst wenig mit der freudvollen und lustvollen Natur von Sex zu tun haben – ebensowenig wie mit körperlicher Wonne.
- Die uns umgebende religiös geprägte Kultur mit all ihren Märchen, Liedern und Sagen. Und der wilden Mischung eines einerseits übersexualisierten Gebarens bei gleichzeitig sexnegativer Grundhaltung.
- Es kann natürlich auch sein, dass andere Menschen ungefragt den “Bildungsauftrag” übernehmen. So wie der gefürchtete Onkel, der kleine Kinder besonders gerne mag. Oder die älteren Kinder und Jugendlichen auf dem Schulhof, die schon durch “2 Girls, 1 Cup” abgebrüht wurden und es lustig finden, andere damit zu schocken. (You really don’t want that!!)
- Womit wir zum letzten und vermutlich für viele Kinder und Jugendliche einflussreichsten Baustein der Aufklärungsarbeit kommen: den digitalen Medien und allem voran der Pornografie. Ein Spiegel und Ergebnis der Mainstream-Kultur und ihrer vielfältigen subkulturellen Auswüchse. Kanadische Wissenschaftler konnten bereits vor 10 Jahren (!) für eine Studie zum Thema Pornokonsum keinen einzigen Mann in der Altersgruppe 20-30 finden, der noch nie Pornos gesehen hat. Ich vermute bei einem ähnlichen Versuch in Deutschland im Jahr 2020 wäre es schwierig irgendjemanden – unabhängig von Geschlecht – ab 14 Jahren aufwärts zu finden, der noch keine Pornografie – und seien es auch nur kurze Ausschnitte und Bildsequenzen – gesehen hat. Und dabei geht es mir weniger um das Für und Wider von Porn, sondern darum, dass dein Kind, wenn es dann das erste Mal damit konfrontiert ist, die Bedeutung und Glaubwürdigkeit des Gesehenen gesund einschätzen kann. Und nicht Gefahr läuft, das Ganze mit realem Sex zu verwechseln.
Also bitte - fang heute an!
Du weisst nicht, wo du beginnen sollst? Dann nenne ich dir nachfolgend 8 Themenbereiche, über die aus meiner Sicht alle Eltern mit ihren Kindern in Bezug auf Sex sprechen sollten. Rede mit ihnen über:
- NACKTHEIT, Körperteile, Körpergerüche und -Flüssigkeiten. Und dazugehörige Worte und Sprache. (Und wie wichtig es ist, eine für sich passende Sprache zu finden.)
- KÖRPEREMPFINDUNGEN und den Unterschied zu Gedanken (Bewertungen & Urteilen). Über angenehme und unangenehme Gefühle.
- SEXUELLE ENERGIE, die sich durch Lust, Freude und Erregung im Körper ausdrückt und die in sexuelle Handlungen ebenso wie in Kreativität und das Produzieren von Ideen & Projekten fließen kann.
- BERÜHRUNG, Selbstberührung, Masturbation und Genuss.
- LIEBE, PRÄSENZ und die Bedeutung von Geborgenheit und SICHERHEIT im Körperkontakt mit einem anderen Menschen.
- KONSENS und die Notwendigkeit, Grenzen und Wünsche klar auszusprechen und dafür einzustehen.
- INTIMITÄT und Verbundenheit. Darüber ob und was das mit Sex zu tun hat.
- Und natürlich über LIEBEMACHEN, welches über heteronormative Sextechniken hinausgeht.
Darüber hinaus ermutige ich dich, dich selbst als sexuelles Wesen zu zeigen. Hast du Sex und genießt es? Oder nimmst dir Zeitfenster, in denen du mit dir und deinem Körper sinnlich bist? Es ist okay, wenn deine Kinder die dazugehörige Geräuschkulisse oder auch Asseccoires mitbekommen und lernen, dass das zum Leben dazu gehört. Versuche dabei ehrlich und authentisch zu sein.
Und sollte dir der Gedanke schwerfallen, deine Kinder sexuell aufzuklären ist das DIE GELEGENHEIT, dir deiner eigenen Unsicherheit, Scham, Tabus oder Blockaden bewusst zu werden. Und sie aktiv anzugehen.
Es ist nie zu spät, ein sexuell erfülltes Vorbild zu werden!
Für dich. Für deine Kinder. Für eine befreite und lustvollere Kultur und Gesellschaft.
Text: Britta Kunze // Picture credit: Annie Spratt, Unsplash
Weiterführendes:
- Agnes Sonntag (SPIEGEL 2019) Aufklärungsbücher für Kinder
- Ann-Marlene Henning und Tina Bremer-Olszewski (2017) Make Love. Ein Aufkärungsbuch
- Paula Lambert (ZEIT 2018): Schämt Euch nicht.
- Katrin Zeug (ZEIT 2016): Hinter dem Sternchenvorhang. Sexualität bei Kindern.